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Religiöser Sprachgebrauch

Auf der Seite IstGottAllmächtig ist deutlich geworden, dass religiöser und mathematisch/logisch/naturwissenschaftlicher Gebrauch von Begriffen sich sehr deutlich unterscheiden, und dass man auf diesen Unterschied stets sorgfältig achten muss. Im folgenden möchte ich meine Ansicht hierzu etwas zu verdeutlichen versuchen:

  • Mathematische Aussagen (z.B. "Es gibt unendlich viele Primzahlen") können und müssen mit logischen Mitteln lückenlos bewiesen werden.
  • Naturwissenschaftliche Aussagen (z.B. "Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist konstant") können nie endgültig bewiesen werden, müssen aber eine Widerlegung/Falsifizierung erlauben, wenn sie überhaupt Sinn machen sollen. Es ist das Verdienst des österreichischen Philosophen Karl Raimund Poppers (siehe auch DseWiki:KarlPopper), die grundlegende Bedeutung dieses Falsifizierbarkeitsgedanken für die empirischen Wissenschaften gehörig herausgestellt zu haben.
  • Religiöse Aussagen (z.B. "Es gibt nur einen Gott, und dieser ist allmächtig") können in dem obigen Sinne weder schlüssig bewiesen, noch widerlegt werden, und man verbindet mit ihnen normalerweise auch keine derartige Absicht. Man darf sie nicht wörtlich nehmen und (daher) auch nicht logisch mit ihnen argumentieren. Gleiches gilt übrigens für den künstlerischen/poetischen Sprachgebrauch.
Welchen Sinn haben religiöse/poetische Aussagen dann überhaupt?

Der folgende Volksspruch zeigt künstlerischen Sprachgebrauch "mit religiösem Einschlag" und macht den Sinn des künstlerischen und religiösen Sprachgebrauchs recht deutlich:

Ich kam, ich weiß nicht woher,
Ich bin, ich weiß nicht wer,
Ich leb, ich weiß nicht wie lang,
Ich sterb und weiß nicht wann,
Ich fahr, ich weiß nicht wohin,
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.

Religiöse/poetische Aussagen sind meist bildhafte/gleichnishafte Redeweisen, die in erster Linie dazu dienen, Gefühle auszudrücken, allgemeine gefühlsmäßige Grundeinstellungen zur Welt, zum Sinn des Lebens, zu anderen Menschen, zu Schmerz, Sterben und Tod, zu Gut und Böse zu übermitteln, oder Menschen zu erheitern oder in Notlagen zu trösten. Sie sind nicht wahr oder falsch im alltäglichen oder wissenschaftlichen Sinn, sondern nur mehr oder weniger erfolgreich im Transportieren der intendierten Gefühle.

Man darf sie für gewöhnlich nicht wörtlich nehmen, denn sonst stößt man leicht auf Widersprüche (siehe IstGottAllmächtig). Es ist aber nicht zu übersehen, dass die Vertreter der Religionen auf der Basis ihrer jeweiligen grundlegenden Schriften (Bibel, Koran, Talmud, ...) auch logisch zu argumentieren versuchen, im Prinzip ähnlich wie die Mathematik etwa aus den Axiomen der euklidischen Geometrie allerlei weitere Sätze ableitet, ohne vorher zu definieren, was ein "Punkt" oder eine "Gerade" ist, oder was "Punkt liegt auf Gerade" bedeutet, mit dem Unterschied, dass die Religionen die jeweiligen undefinierten Grundbegriffe und die einschlägigen Axiome nicht sauber und vollständig auflisten, sondern sehr informell argumentieren.

Auf einen inhaltlichen Streit mit oder zwischen den Religionen sollte man sich daher nach meiner Überzeugung besser erst gar nicht einlassen, sondern man sollte akzeptieren, dass viele Menschen ein solches religiöses Stützkorsett zu brauchen scheinen. Welches Stützkorsett einem am besten hilft, mit dem Leben zurande zu kommen, muss jeder für sich entscheiden.

Es kann jedoch nicht hingenommen werden, wenn Vertreter einer Religion anderen "ungläubigen" Menschen vorschreiben wollen, was sie zu denken und wie sie zu leben haben. (Vgl. etwa die anhaltenden und teilweise erfolgreichen Versuche der Anhänger der biblischen Schöpfungslehre in den USA, die Darwinsche Evolutionstheorie aus den Lehrplänen der Schulen fernzuhalten oder die Verdammung der Lehren Galileis durch die katholische Kirche, die erst 1992 endgültig zurückgenommen wurde.)

Ich für meinen Teil bekenne freimütig, dass ich ein großes Misstrauen gegen solche verbalen Stützkorsette in Gestalt zahlreicher, höchst spezieller Glaubensätze hege (von der "Auferstehung des Fleisches / ewiges Leben" bis zur "jungfräulichen Empfängnis"). Ich kann damit nichts anfangen und brauche so etwas nicht. Mir genügt das klare Grundgefühl, mit meiner (kleinen, unwichtigen) Existenz in die (große, allumfassende) göttliche Existenz eingebettet zu sein, die sich für jedermann sichtbar (ohne einen "Glauben" zu erfordern) schon darin zeigt, dass überhaupt etwas existiert.

Ich akzeptiere und respektiere jedoch natürlich, dass andere Menschen aufgrund eines anderen Lebenslaufs oder einer anderen Veranlagung andere Wege suchen oder gefunden haben, um das Gefühl der Sinnlosigkeit und Nichtigkeit zu überwinden, das einen leicht befällt, wenn man sich nicht auf eine minimale religiöse Grundeinstellung stützen kann.


In seinem Buch

hat sich Hoimar von Ditfurth sehr umfassende Gedanken über den religiösen und gleichnishaft-mythologischen Sprachgebrauch gemacht. Er vertritt die Auffassung (die ich teile), dass alltäglicher, wissenschaftlicher und religiöser Sprachgebrauch einander nicht widersprechen, sondern einander ergänzen können und sollten. Man muss sie nur klar auseinanderhalten, da eine unreflektierte Vermischung in aller Regel schlimme Missverständnisse und unnötigen Streit provoziert.

Den Versuch Hoimar von Ditfurths, das Reden vom "Jenseits (d.h. von einer jenseitigen Welt oder Realität) durch eine "Evolutionäre Erkenntnistheorie" zu rechtfertigen, kann ich jedoch nicht nachvollziehen, wenngleich ich seine Auffassung teile, dass die Welt vom ersten Moment an (Urknall) einen (immer noch fortdauernden) Evolutionsprozess durchlaufen hat und von Grund auf evolutionärer Natur ist: Es gibt keinen Schöpfungszeitpunkt, sondern eine fortdauernde, immerwährende Schöpfung. (Vgl. auch IstZeitEineIllusion.)

--KlausGünther.


Die obige Dreiteilung überzeugt mich von ihrer Systematik her nicht. Genauso wie IstGottAllmächtig nichts über Gott, sondern nur über eine bestimmte Begriffsdeutung von "Allmächtig" aussagt, so geht diese Kritik des religiösen Sprachgebrauches eigentlich auch am Thema vorbei. Wenn ich z. B. von "Freundschaft", "Liebe", "Gemeinschaft" oder "Sprache" spreche, dann handelt es sich durchwegs um schwammige Begriffe, die weder verbindliche Definitionen besitzen, noch Gegenstand von Beweisführungen oder mathematischen oder naturwissenschaftlichen Theoriebildungen sind. Trotzdem verwenden wir alle diese Begriffe täglich und könnten und wollen auch gar nicht auf sie verzichten. Was hat das alles mit "religiös" zu tun? Vielleicht müsste man zuerst einmal über WasIstSprache diskutieren?

Daneben ist aber nicht abzustreiten, dass es vieles an der (christlichen, katholischen) Religion gibt, was kritisiert werden kann und kritisiert werden muss. Aber vielleicht nicht vordringlich der Sprachgebrauch!? Klaus, ich habe übrigens in http://www.evang.at/diskussion/pinnwand/index.htm die Frage "Allmacht Gottes" gestellt. Vermutlich ist das Ergebnis nicht unbedingt das, was du erwarten würdest.

-- HelmutLeitner


Ich habe WasIstSprache und auch die Diskussion in http://www.evang.at/diskussion/pinnwand/index.htm gelesen.

Bezüglich der letzteren frage ich mich, was du eigentlich erwartet hast, was ich davon erwarten würde. Jedenfalls finde ich die Stellungnahmen in keiner Weise überraschend, sondern finde es überaus erfreulich, dass ihr in Österreich so ein Diskussionsforum habt. Bei uns habe ich so etwas noch nicht gefunden (aber bisher, wie ich gestehen muss, auch noch nicht gesucht).

Deiner Analyse in WasIstSprache stimme ich weitgehend zu, mit einer mir wichtig erscheinenden Differenzierung:

Nach meiner Auffassung besteht zwischen den unscharf, aber für alltägliche Bedürfnisse hinreichend scharf definierten Begriffen der Alltagssprache und den gar nicht definierbaren oder definitionsbedürftigen Begriffen der religiösen Sprache ein entscheidender Unterschied. (Dabei ist mit "hinreichend scharf" immer auch gemeint, dass darüber hinreichend große Einigkeit herrscht, denn anderenfalls ist ein Alltagsbegriff wenig nützlich: Er würde nur Missverständnisse und Streitigkeiten provozieren.)

Da religiöse Aussagen in erster Linie nur Einstellungen und Gefühle transportieren sollen, verspürt man für sie von vornherein normalerweise keinen Bedarf nach überprüfbaren Beweis- oder Widerlegungs-Möglichkeiten.

Z.B. gibt es zu der Alltagsaussage "Präsident Bush liebt Saddam Hussein" allerlei Widerlegungsmöglichkeiten, über die auch weithin Einigkeit herrscht, obwohl der Begriff "liebt" auch in der Alltagssprache nur unscharf definiert ist.

Dagegen herrscht bei der religiösen Aussage "Gott liebt alle Menschen" aber vermutlich nicht einmal unter Christen grundlegender Konsens über die Antwort, obwohl Christen ja daran glauben sollten.

Würde man dies als Frage in dem Pinwand-Forum stellen, würden viele Stellungnahmen sicher zu bedenken geben, dass Gott viele Menschen furchtbar hat leiden lassen, und dass man sich schwer vorstellen könne, dass Gott grausame, menschenverachtende Massenmörder wie Hitler, Stalin oder Saddam Hussein wirklich liebt. Was sollte "Liebe" dann überhaupt noch bedeuten?

Mein eigener religiöser Sprachgebrauch

  • An Gott brauche ich nicht zu glauben, seine Existenz zeigt sich für mich bereits darin, dass überhaupt etwas existiert,
  • Existenz ist das große göttliche Rätsel und Wunder,
  • in der Existenz dieser lebendigen und atmenden Welt verspüre ich unmittelbar die Anwesenheit und den Hauch Gottes.
  • Es gibt für mich keine Trennung in "ich", "reale Außenwelt" und fernem "Schöpfergott" außerhalb der von ihm geschaffenen Welt.
  • Unsere Existenz und das gesamte Universum sind in der allumfassenden göttlichen Existenz vollkommen eingebettet und enthalten:
  • Wir sind in Gott, und Gott ist in uns,
  • alles was wir erleben und empfinden, Freude wie Schmerz, erlebt und empfindet daher Gott mit uns.
  • "Liebe" ist ein rein menschlicher Begriff, der nicht auf Gott anwendbar ist:
  • Gott liebt und hasst nicht,
  • er belohnt und bestraft nicht,
  • er gebietet und verurteilt nicht,
  • er "lebt" überhaupt nicht in der Zeit, d.h.
  • anders als für uns aus unserer extrem verengten Froschperspektive gibt es für ihn keinen gegenwärtigen Augenblick und keine ungewisse Zukunft, sondern
  • Raum und Zeit liegen vor ihm ausgebreitet,
  • die Ewigkeit ist wie ein Augenblick für ihn,
  • Gott "ist", und er ist für uns vollkommen unergründlich.
  • Unser Leben ist wirklich nur endlich (und das ist gut so, für ein ewiges Leben sind wir nicht "gebaut"),
  • aber unsere Existenz bleibt in Gottes allumfassender Existenz für alle Zeiten aufgezeichnet.
  • Deshalb wird jeder, der das auch so sieht, nach seinem Vermögen versuchen, das Beste daraus zu machen, und
  • dabei weiß jeder von selbst, was Gut und Böse ist, man braucht dazu keine Gebote und Verbote (die einem in schmerzlichen Konfliktfällen ohnehin nicht weiterhelfen).
Mit dieser Auffassung will ich niemanden missionieren, aber sie ist vielleicht eine Hilfe für Menschen, die von den inneren Widersprüchen anderer religiöser Auffassungen irritiert sind. Für einen Mathematiker wie mich sind offenkundige Widersprüche jedenfalls so unakzeptabel, dass ich sie wie auch immer zu vermeiden versucht.


Übrigens finde ich es merkwürdig, dass der christliche Schöpfergott zwar mit uns die zeitliche Dimension teilt (er "lebt" in unserer Zeit, denkt, handelt und beobachtet unsere Taten), jedoch nicht die räumlichen Dimensionen: er lebt außerhalb seiner Schöpfung irgendwo "im Himmel". Nach heutigem naturwissenschaftlichen Kenntnisstand kann man die Zeit nicht unabhängig von den räumlichen Dimensionen betrachten, sondern die Zeit ist immer auf ein bestimmtes raum-zeitliches Bezugssystem ("Inertialsystem") zu beziehen. In welchem Inertialsystem erlebt Gott den Ablauf der Welt, zumal wenn er gar nicht in ihr, sondern "im Himmel" lebt?

Nach meinem Geschmack sollte man besser nicht darauf beharren, Begriffe auf Gott anzuwenden, die nur aus unserer beschränkten menschlichen, "innerweltlichen" Perspektive sinnvoll sind, wenn man sich nicht sofort in unlösbare Widersprüche verwickeln will.

Wenn ich oben allerlei "Aussagen" über Gott gemacht habe, so sind diese bei genauem Hinsehen durchweg als Aussagen über unser Nicht-Wissen zu verstehen, die davor warnen, Gott menschliche Eigenschaften und Sichtweisen anzudichten. Vielmehr besagen sie hinsichtlich vieler Teilaspekte: Gott ist anders und vollkommen unergründlich, wir können nichts über ihn wissen; was auch meine Antwort auf die unten gestellte Frage WasKönnenWirÜberGottWissen? beschreibt.

Ich denke vielmehr, dass wir uns nur selbst etwas vormachen, wenn wir Antworten auf uns bedrängende Fragen aus unserer engen menschlichen Perspektive herbeizwingen wollen. Wir sollten nicht versuchen, Gott mit menschlichen Koordinatensystemem aller Art begreifbarer und berechenbarer zu machen.

Wenn man stattdessen bereit ist, auf naive "Fragen aus der Froschperspektive" zu verzichten und sein Leben und Schicksal vollkommen in Gottes Hand zu legen, wirkt dies nach meiner Erfahrung wie eine Befreiung aus den Fesseln einer allzu beengten Weltsicht.

--KlausGünther


Mögliche Diskussionspunkte:


 
© SinnWiki Community zuletzt geändert am April 6, 2013