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Vorklinisches und klinisches Polytrauma-Management

Definition des Polytraumas

Ein Polytrauma liegt vor bei gleichzeitig entstandenen Verletzungen von mehr als 2 Organsystemen, von denen wenigstens eine oder ihre Gesamtheit lebensbedrohlich sind.
(Tscherne et al.)

Diese Definition stammt übrigens von Herrn Tscherne [1]] aus Hannover, der als einer der Vorreiter des modernen Polytrauma-Magements gilt.

Als Notärzte gehen wir immer dann von einem Polytrauma aus, wenn die Situation dies nahelegt, und zwar solange, bis das Gegenteil offensichtlich ist.

Inzidenz

Das Polytrauma ist in den letzten Jahrzehnten selten geworden. Ursache dafür sind die immer ausgefeilteren Sicherheitsmassnahmen im Strassenverkehr und am Arbeitsplatz. Dennoch stellen diese beiden Unfallquellen immer noch den Löwenanteil dar, obwohl die immer beliebteren Risikosportarten zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Polytraumata/Jahr (DE)ca. 8000
Verkehrsunfälle80%
Arbeitsunfälle10%
Suizid und Tötung4%
Spiel und Sport3%

Verletzungsmuster

Das sehr häufig vorliegende Schädelhirntrauma stellt oft den dramatischsten und auffälligsten Befund dar.

Verletzungen insbesondere von Thorax, Abdomen und Becken können jedoch so schwerwiegend sein, dass sie die vordringliche vitale Bedrohung für den Verletzten darstellen, insbesondere hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs!

Verletzte Körperregionen
Schädel-Hirn60%
Extremitäten45%
Thorax25%
Wirbelsäule5%

Tödliche Hypotheken

5 tödliche Hypotheken
Hypoxie
Hypovolämie
Hypoperfusion
Hypothermie
Hypotherapie

Herr Dinkel hat die 5 tödlichen Hypotheken genannt, die zügig und effektiv bekämpft werden sollten. Die ersten 4 Hypotheken bedürfen zunächst keines Kommentars.

Die 5. Hypothek, die Hypotherapie stellt die Gefahr durch einen zu zaghaften oder zu zögerlichen Notarzt dar. Kaum eine notärztliche Maßnahme richtet - korrekt ausgeführt - wesentlichen Schaden an, auch wenn sie sich im nachhinein als „überflüssig“ herausstellen sollte.

Dies gilt selbst für invasive Dinge wie etwa Thoraxdrainagen. Unterlassene notwendige Maßnahmen stellen für den Verletzten eine weitaus größere Gefahr dar:

Die beste Intubation nützt nichts, wenn ein Spannungspneu den Gasaustausch stilllegt, die schnellste Infusion über großvolumige Zugänge geht bei unversorgter arterieller oder venöser Blutung buchstäblich ins Leere.

Vorgehen am Unfallort

Dem Notarzt stellt sich beim Eintreffen an der Unfallstelle häufig die verwirrende Frage: Was mach ich jetzt als erstes?? Anstatt sich in wildem Aktionismus auf den Patienten zu stürzen und mindestens fünf Dinge gleichzeitig zu versuchen, sollte er sich allerdings doch zunächst kurz die Zeit nehmen, über diese Frage nachzudenken. Diese wenigen Sekunden bekommt er später mit Zuschlag zurück, wenn er sie richtig nutzt.

Eigensicherung:
Die wichtigste Frage heißt: Kann ich hier arbeiten, oder werde ich selbst gleich zum Patienten? Hinweise wie herunterhängende Oberleitungen, Gas- oder Kraftstoffgeruch, schnell fließender Verkehr auf der Nachbarspur sollte man besser ernst nehmen und zunächst für die eigene Sicherheit sorgen! Natürlich nicht aus Feigheit , sondern zugunsten des Patienten, dem mit einem überfahrenen, brennenden oder elektrisierten Notarzt nicht gedient ist.

Zugang zum Verletzten:
Der nächste Blick gilt der Situation des Verletzten: Ist er frei zugänglich, eingeklemmt, verschüttet? Befindet er sich in Sicherheit oder wird er durch Absturzgefahr, Feuer, Verkehr oder ähnliches weiterhin bedroht.

Ressourcen:
Der dritte Blick gilt den eintreffenden oder bereits vorhandenen Rettungs- und Hilfskräften. Sind alle da, die gebraucht werden? Sind alle weg, die stören können?

Dies alles kann wesentlich schneller gecheckt werden, als ich es hier vortragen kann. Alles klar, dann los!

Erstmaßnahmen / Vorbereitung zur technischen Rettung

Wenden wir uns dem Verletzten zu: Auffällige perakut lebensbedrohliche Verletzungen wie spritzende Blutungen aus großen Gefäßen werden natürlich unmittelbar sofort versorgt. Wobei wir uns, wenn irgend möglich, auf die einfache Maßnahme der Kompression beschränken und keinesfalls mit irgendwelchen Klemmen blind im Blutsee herumkneifen: Wir finden das Gefäss nämlich nicht, sondern bestenfalls den Nervus femoralis oder medianus.

Bei Atemstillstand wird unmittelbar intubiert und beatmet. Ist der Verletzte frei zugänglich, wird er zunächst entsprechend seinem Zustand gelagert, bekommt seinen Stiff-Neck, bei Spontanatmung reichlich Sauerstoff (aber nicht, wenn es in unmittelbarer Nähe brennt), für die Warmhaltung wird vorzugsweise mit der Rettungsfolie gesorgt. Ist der Verletzte nicht frei zugänglich, wird zunächst versucht, wenigstens Zugang zu Kopf und Hals sowie zu mindestens einem Arm zu bekommen, es werden Zugänge gelegt (je dicker und je mehr desto besser), Infusionen und Analgetika verabreicht. Erst jetzt wird planvoll und mit Übersicht mit der technischen Rettung begonnen.

Crash-Rettung

Die Crash-Rettung ohne Rücksicht auf Kollateralschäden kommt nur in Frage bei höchster Gefahr im Verzuge, also unmöglicher Intubation, unerreichbarer lebensbedrohlicher Blutung oder Gefährdung durch Feuer oder Explosionsgefahr. Auf die technische Rettung selbst will ich hier aus Zeitgründen nicht eingehen, es sei lediglich erwähnt, dass diese in Extremfällen stundenlang dauern kann und man in dieser Zeit nicht nur mit den eigenen Bordmitteln arbeiten muss, sondern auch zum Beispiel Blutkonserven aus dem nächsten Krankenhaus herbeischaffen kann.

Basischeck

Nachdem wir jetzt das gröbste im Griff haben, führen wir ohne Hast den Basischeck durch. Die Bestimmung der Vitalparameter können wir dem Rettungsassistenten überlassen, während dieser den Blutdruck misst und EKG und Sättigung anlegt, führen wir den craniocaudalen Bodycheck, neudeutsch auch head-to-toe Bodycheck durch. Störende Kleidungsstücke (das sind alle!) werden unter großzügigem Einsatz der Schere entfernt Ist die Schädelkalotte intakt oder sind Frakturen zu tasten oder zu sehen? Kommt das Blut aus der Kopfplatzwunde oder aus Mund, Nase oder Ohr? Ob die HWS stabil ist, wissen wir seit dem Anlegen des Stiff-Necks. Ist der Thorax stabil, sind die Atemexcursionen seitengleich, sind beide Lungen belüftet? Sind die Herztöne hörbar? Die Fahndung nach dem tympanischen Klopfschall oder dem spindelförmigen 1/3-Systolikum findet auf der Standspur einer dicht befahrenen Autobahn allerdings ihre Grenzen und unterbleibt entsprechend.

Am Abdomen suchen wir nach offenen Verletzungen, beim kontaktfähigen Patienten ergeben Druckschmerz und Abwehrspannung auch Hinweise auf intraabdominelle Verletzungen.

Das Becken wird mit zwei kräftigen Handgriffen auf Stabilität überprüft An den Extremitäten fahnden wir nach offensichtlichen Frakturen der langen Röhrenknochen oder Luxationen großer Gelenke. Der kontaktfähige Verletzte wird aufgefordert, Finger und Zehen/Füße zu bewegen und nach Gefühlsausfällen gefragt. Eine fein-neurologische Untersuchung unterbleibt. Der Verletzte wird einmal vorsichtig auf die Seite gedreht, der Rücken auf auffällige Verletzungen inspiziert, die Wirbelsäule von oben nach unten auf Stabilität palpiert.

Initiale (notärztliche) Therapie

Zur initialen Schocktherapie ist vom Anästhesisten bereits das wesentlich gesagt worden.

Was die Atmung angeht möchte ich allerdings nochmals ganz besonders auf die frühzeitige Therapie bei Thoraxverletzungen hinweisen. Auch wenn keine offene Verletzung oder Instabilität vorliegt, sind gerade bewusstlose oder narkotisierte Verletzte besonders durch einen Spannungspneumothorax gefährdet. Aus diesem Grund sollte wenn möglich eine suffiziente Spontanatmung nicht unterdrückt und durch Überdruckbeatmung ersetzt werden. Ist diese jedoch erforderlich, beispielsweise wegen Atemstillstand bei Schädelhirntrauma, halten wir die Sauerstoffsättigung ganz besonders gründlich im Auge und zögern bei Verschlechterung nicht, sofortige Abhilfe zu schaffen. Bei offensichtlichen oder tastbaren Verletzungen am Thorax legen wir zunächst auf der verletzten Seite eine Drainage etwa im 7. Oder 8. ICR in der hinteren Axillarlinie (aber bitte nicht soweit dorsal, dass der Verletzte darauf liegt), bleibt eine Besserung aus oder tritt keine Verschlechterung ein, legen wir auch auf der anderen Seite eine Drainage. Es ist nämlich durchaus nicht selten, vor allem bei schweren Dezelerationstraumata, dass beide Seiten betroffen sind. Falls keine offensichtliche Thoraxverletzung vorliegt, versuchen wir durch Auskultation und Perkussion die betroffene Seite zu finden, was wie gesagt bei lauter Umgebung nicht immer einfach ist. Ist die betroffene Seite nicht zu ermitteln, wird probatorisch zunächst die eine, dann die andere Seite drainiert. Die apicale Punktion mittels kräftiger Kanüle führt zwar auch zur Entlastung des Spannungspneus, ist allerdings der Drainage aus zwei Gründen unterlegen: Zum einen kann sie, falls die gesunde Seite punktiert wird, selbst einen Pneu auslösen, was beim Einbringen der stumpfen Bülau-Drainage bei korrekter Technik nicht geschieht, zum anderen liefert uns die Drainage durch ablaufendes Blut gegebenenfalls Informationen über den intrathorakalen Blutverlust und hilft so bei der Indikationsstellung zur Thorakotomie.

Besonders großzügig stellen wir die Indikation zur Thoraxdrainage bei einem anstehenden Hubschraubertransport. Zur Kreislaufstabilisierung hat der Anaästhesist schon ausführlich Stellung genommen.

Zum Thema Lagerung:
Seitenlagerung sollte nicht vorkommen, da der traumatisierte bewusstlose Patient primär am Unfallort intubiert und beatmet wird! Der Polytraumatisierte wird immer auf Vakuummatraze transportiert.

Analgosedierung

Der kontaktfähige Verletzte bedarf nun einer ausreichenden Analgosedierung. Die Indikation zur Narkoseeinleitung und Intubation stellen wir sehr großzügig, insbesondere bei Schädel-Hirn-Beteiligung, beim Thoraxtrauma und bei vermuteten schweren okkulten Blutungen. Zur Auswahl des geeigneten Narkoseverfahrens und der technischen Durchführung darf ich auf die Ausführungen des Anästhesisten verweisen. Das Monitoring umfasst mindestens EKG, Sauerstoffsättigung und manuelle, engmaschige Blutdruckmessung; äußerst wünschenswert wäre auch eine automatische Blutdruckmessung und die Capnometrie, beides ist in unserem Umfeld allerdings noch nicht realisisert.

Die Magensonde unterbleibt bei Verletzungen des Gesichtsschädels, ansonsten ist sie zur Verhinderung einer Aspiration unverzichtbar. Nach Narkoseeinleitung sollten unbedingt sämtliche Befunde, die unter Narkose nicht mehr reproduzierbar sind, für die spätere Übergabe dokumentiert werden. Dies betrifft die primäre Bewußtseinslage, neurologische Ausfallerscheinungen und Schmerzangaben des Verletzten.

Nach Analgosedierung oder besser Narkoseeinleitung werden nun fehlgestellte Frakturen langer Röhrenknochen sowie Luxationen großer Gelenke durch Längszug in der Körperachse reponiert. Offene Frakturen werden steril abgedeckt. Der hier vorliegende Befund (Durchspießung, Weichteilverletzung von außen, freiliegende Trümmerzone) sollte ebenfalls gut dokumentiert werden, da die sterile Abdeckung wenn möglich erst im OP entfernt wird.

Amputationsstümpfe werden ebenfalls steril abgedeckt und die Blutstillung möglichst durch Druckverband gesichert. Ausnahmsweise kommt an der unteren Extremität auch eine Blutsperre (Blutdruckmanschette 250 mmHg) in Betracht.

Offene Abdominalverletzungen werden mit sterilen Kompressen abgedeckt, die mit Kochsalzlösung oder Ringerlösung feucht gehalten werden. Ausgetretene Organe werden am Unfallort nicht reponiert. Penetrierende Gegenstände an Thorax oder Abdomen werden keinesfalls entfernt, sondern belassen und gegen Verschiebung gesichert. Andernfalls droht eine zuvor noch durch den Gegenstand tamponierte unkontrollierbare Blutung

Transportfähigkeit

Mit den vorgenannten Maßnahmen sollte nach Vorgabe der DGU binnen 20 Minuten Transportfähigkeit erreicht werden. Diese ist gegeben, wenn

Nur ausnahmsweise wird in verzweifelter Situation wie massivem Blutverlust aus Thoraxdrainagen oder ins Abdomen oder rasant zunehmender Hirndrucksymptomatik ohne Erreichen der Transportfähigkeit so rasch wie möglich ins nächstliegende Akutkrankenhaus transportiert.

Transport

Das Transportziel sollte in jedem Fall ein Krankenhaus mit vollständiger unfallchirurgischer Versorgungsmöglichkeit sein, also entweder eine Klinik mit eigenständiger Unfallchirurgie oder mindestens mit Zulassung zum Verletztenartenverfahren nach §6. Bei Schädel-Hirn- oder Rückenmarksverletzungen ist ein Haus mit Neurochirurgie auszuwählen. Die Aufnahmefähigkeit der ausgewählten Klinik wird durch die Rettungsleitstelle abgefragt.

Transportmittel

Als Transportmittel stehen der RTW oder der Rettungshubschrauber zur Verfügung. Im großstädtischen Raum wird aufgrund der kurzen Anfahrtswege und der besseren Möglichkeit, auch während des Transportes Maßnahmen durchzuführen, in der Regel der RTW eingesetzt. Der Rettungshubschrauber wird, falls verfügbar, für längere Transportwege (für die ein RTW länger als 20 Minuten benötigt) eingesetzt. Die Anforderungen an die Transportfähigkeit sind beim Hubschrauber deutlich höher als beim RTW, da im Hubschrauber fast keine ärztlichen Maßnahmen mehr durchführbar sind.

Vorankündigung:

Bei Transportbeginn wird an die aufnehmende Klinik eine kurze, aber aussagekräftige Vorab-Information übermittelt. Diese sollte mindestens beinhalten:

Falls die Vorankündigung über die Rettungsdienst-Leitstelle erfolgt, sollte diese sicherstellen, daß sie mit einem qualifizierten Mitarbeiter der Notaufnahme (dies kann der diensthabende Arzt oder auch eine qualifizierte Pflegekraft sein) verbunden wird. Weiterleitung einer Meldung über die Telefonzentrale führt bestenfalls zu einer Verfälschung der Meldung nach dem „Stille-Post-Prinzip“, schlimmstenfalls zum vollständigen Informationsverlust. Am sichersten ist eine direkte Mobiltelefon-Verbindung zwischen Notarzt und Notaufnahme des übernehmenden Krankenhauses. Die so übermittelten Informationen werden in der Notaufnahme vollständig notiert und umgehend an den Leiter des Schockraum Teams weitergeleitet.

Übergabe:

Der Leiter des Schockraum-Teams („Trauma-Leader“) entscheidet nun, welche Kräfte primär erforderlich sind und veranlasst und kontrolliert ihre Alarmierung. Außerdem informiert er OP, Röntgenabteilung, Intensivstation und Labor und sorgt für sofortige Freistellung der nötigen Ressourcen (z.B. durch Unterbrechung des Operationsprogramms in einem geeigneten Saal). Nach Ankunft erfolgt die Übergabe durch den Notarzt direkt an den Leiter des Schockraum-Teams. Das Divi-Protokoll wird so korrekt wie möglich ausgefüllt übergeben

Schockraum-Basis-Team
ÄrzteFacharzt Unfallchirurgie
 Assistenzarzt Unfallchirurgie
 Facharzt Anästhesie
Pflegekräfte2 Schockraum-Pflegekräfte
 1 Anästhesie-Pflegekraft
Med.-Tech. Personal1 Röntgen-MTA
Labor und Blutbank1 MTA

Bei Eintreffen des Verletzten steht das gesamte Schockraum-Basis-Team bereit. Der Anästhesist inspiziert und kontrolliert unmittelbar nach Entladen des Verletzten den liegenden Tubus, die Magensonde und sämtliche vorhandenen Venenzugänge. Der Assistenzart inspiziert Lagerung, angelegte Schienen und Verbände sowie unversorgte Verletzungen. Der Leiter des Schockraum-Teams nimmt gleichzeitig die Übergabe des Notarztes entgegen. Während dieses Vorganges sollte immer nur einer reden, damit möglichst alle Informationen bei allen Beteiligten ankommen. Das Schockraum-Basis-Team besteht mindestens aus den oben genannten Kräften. Weitere Hilfskräfte, die beispielsweise zum Transport von Blutproben oder Abholen von Blutkonserven eingesetzt werden können, sind von großem Nutzen und sollten auf Abruf bereitstehen. Röntgen-MTA und Labor stehen am Arbeitsplatz bereit. Hier haben wir die in unserem Haus zur Verfügung stehenden Mitglieder des erweiterten Schockraum Teams. Diese sind, soweit erforderlich, bererits alarmiert und anwesend oder werden auf Veranlassung des Leiters des Schockraum-Teams hinzugezogen.

Erweitertes Schockraum-Team
Neurochirurg
Allgemeinchirurg
Hand/-plast. Chirurg
Urologe
Radiologe
OP-Personal

Phasen der Polytrauma-Versorgung

In den Leitlinien der AWMF wird die klinische Versorgung eines Polytraumas in vier Phasen eingeteilt.

Akut-Reanimationsphase

Die erste, sogenannte Akut-Reanimationsphase ist nur sehr kurz oder bei idealer Versorgung durch den Notarzt gar nicht vorhanden. In dieser und allen folgenden Phasen ist und bleibt der Leiter des Schockraum-Teams, also der Facharzt für Unfallchirurgie, der „Trauma-Leader“. In dieser ersten Phase fällt auf der Basis der Übergabe, der klinischen Basis-Diagnostik, gegebenenfalls auch einfacher Blickdiagnostik, die Entscheidung zur Durchführung lebensrettender Sofortmassnahmen und nach deren erfolgreicher Durchführung die Feststellung des Überganges in die zweite Phase. Entscheidend in dieser Akut-Reanimationsphase ist, dass alle erforderlichen Maßnahmen synchron ablaufen, jeder seine Aufgabe kennt und mit maximaler Flexibilität Blitz-Entscheidungen (z.B. Notfallthorakotomie an Ort und Stelle) getroffen und umgesetzt werden können. Oprative Eingriffe der akuten Reanimationsphase werden notfallmässig ohne weiterführende apparative Diagnostik ausgeführt. Falls der Verletzte bereits vom Notarzt als Nottransport ohne Transportfähigkeit angekündigt war, wird er wenn nötig direkt aus dem RTW bis in den OP-Saal durchgefahren. Dies gilt vor allem für die stammnahen Massenblutungen, Beckenzerreissungen, aber auch für exzessiven Blutverlust bei Thorax- oder Abdominaltrauma. Thoraxdrainagen beim Thoraxtrauma können im Schockraum durchgeführt werden

Primärphase (1. Stabilisierungsphase)

Primärphase (1. Stabilisierungsphase)
Erweiterte Notfalldiagnostik
Notfalltherapie
Notfalloperationen

Nach Sicherung der Vitalfunktionen in der Akut-Reanimationsphase folgt die Primärphase, also die 1. Stabilisierungsphase.

Nun wird die apparative Notfalldiagnostik durchgeführt, während gleichzeitig die Stabilisierung der Vitalfunktionen weitergeführt wird. Auf der Basis der gewonnen gewonnenen Erkenntnisse wird die Indikation zu Art und Reihenfolge der dringlichen Notfalloperationen gestellt und ihre Durchführung organisiert. Hierbei kommt es speziell auf die harmonische Zusammenarbeit der beteiligten Disziplinen an, damit die Verletzungen mit dem größten vitalen Gefährdungspotential auch entsprechend ihrer zeitlichen Notwendigkeit, gegebenenfalls simultan, durchgeführt werden können. Es gilt der banale Grundsatz „life bevore leg“. Die Leitlinien der AWMF fordern als primäre apparative Diagnostik die sofortige Sonografie des Abdomens und des Thorax. Diese findet im Zweifelsfall sogar bereits in der akuten Reanimationsphase ihren Platz, insbesondere für die Abgrenzug von intrathorakalen und intraabdominellen Massenblutungen und die daraus abgeleiteten Sofort-OP-Entscheidungen. An Röntgenuntersuchungen wird der Thorax a.p., Becken a.p. und die seitliche Halswirbelsäulenaufnahme gefordert.

Mittlerweile ist bei geeigneten Voraussetzungen die primäre Durchführung eines Spiral-CT‘s „vom Scheitel bis zur Steißbeinspitze“, die auf dem letztjährigen Unfallchirurgenkongeress (2002) von Schweizer Kollegen plakativ als „Trauma-Spirale“ bezeichnet wurde, die bessere Alternative.

Die Vorteile liegen zum einen im weitaus besseren und vollständigeren Informationsgehalt, zum anderen profitiert der Patient durch die fehlende Notwendigkeit der Umlagerung. Wir haben festgestellt, dass der Verletzte hierbei ohne weiteres auf der Vakuum-matratze verbleiben kann. Allerdings sollte in Zusammenarbeit mit dem Radiologen sichergestellt sein, dass zunächst die vital bedrohlichen Hauptbefunde erhoben werden und die Feinauswertung erst nach Abtransport des Verletzten erfolgt.

Hier noch die Auflistung der in der Primärphase durchzuführenden Operationen.

Dringliche Operationen (Primärphase)
Verletzung großer StammgefäßeGefäßrekonstruktion; im Ausnahmefall Amputation
Intrakranielle RaumforderungTrepanation; Kraniotomie
Offene HirnverletzungDefektdeckung; Blutstillung
Intraabdominelle VerletzungenLaparotomie
Hämodynamisch instabile BeckenfrakturBeckenzwinge; Fixateur externe
Lagerungsinstabile Beckenverletzungdito
KompartmentsyndromFascienspaltung und Dekompression
offene Fraktur (>1°)Fixateur externe; ausnahmsweise Osteosynthese
Frakturen mit schwerem Weichtelschadendito
Femurfrakturvorzugsweise intramedulläre Schienung
offene Augenverletzungophtalmologische Versorgung
Stark blutende MittelgesichtsverletzungVersorgung durch MKG-Chirurgie (ggf. Verlegung)
BlasenrupturUreterverletzung; Versorgung durch Urologie

Es gilt hier, dass vor allem bei der Versorgung von Frakturen zunächst die einfachsten, am wenigsten invasiven Verfahren gewählt werden, z.B. der Fixateur externe. Die definitive Versorgung kann dann mittels Verfahrenswechsel in der sekundären oder tertiären Phase erfolgen. Oftmals werden die genanten Operationen auch simultan durchgeführt, sofern die Ressourcen im OP dies zulassen. Sollten für die Versorgung spezieller Verletzungen (Augen, MKG usw.) die entsprechenden Spezialisten nicht im Hause sein, sollten diese bei in der Primärphase oft noch fehlender Transportfähigkeit aus einem anderen Hause konsiliarisch hinzugezogen werden.

Sekundärphase/ Tertiärphase

Der Vollständigkeit halber seien nun noch die Sekundärphase mit Intensivtherapie und weiteren dringlichen Operationen sowie die Tertiärphase mit dem Übergang in die Rehabilitation erwähnt.

Die Sekundärphase wird auch als 2. Stabilisierungsphase bezeichnet und beinhaltet die Intensivtherapie, die weitere Feindiagnostik sowie die Operationen mit aufgeschobener Dringlichkeit (z.B. die Osteosynthese primär nur ruhiggestellter Frakturen, urologische Rekonstruktionen, Hautverpflanzugen, Verfahrenswechsel nach primärem Fixateur externe, definitive Versorgung von notfallmäßig behandelten Beckenfrakturen usw.)

Die Tertiärphase (Rehabilitationsphase) beginnt nach Abschluß der intensivmedizinischen Therapie und umfasst aufgeschobene Operationen wie plastisch-chirurgische Rekonstruktionen, krankengymnastische Mobilisation, allgemein roborierende Maßnahmen, Logopädie u.ä. beim Schädel-Hirntrauma und ähnliches. In der Regel wird auch im anschluß an die Behandlung in der Akutklinik eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in einer entsprechenden Einrichtung erforderlich sein.

Geplant ist noch eine weitere Seite mit einem interessanten Fallbeispiel eines Polytraumas durch Motorradunfall.

ThomasZimmermann


Anmerkungen und Kommentare
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Hallo Thomas, welche ist die 5. der 5 tödlichen Hypotheken (Tabelle, da stehen nur 4)? Kann vielleicht der Text des Anästhesisten noch eingebunden werden? Wäre schön noch etwas mehr über die Narkose beim Unfallverletzten hier stehen zu haben. -- KarstenKnizia

Hallo Karsten! sehr schön, Aufmerksamkeitstest bestanden.Setzen. Habe die fehlende Hypothermie selbsverständlich sofort nachgetragen.

Das wollte ich doch nur hören.

WIMRE hat der Anästhesist frei vorgetragen ohne Manuskript, so dass ich hier sicher nicht an einen Text komme, aber vielleicht finde ich noch was Kompetentes, dann mach ich noch ne Nebenseite auf.





[1] Literaturvorschlag: H. Tscherne; Unfallchirurgie in 12 Bänden; Bd. 1 "Trauma-Management"; Springer-Verlag Heidelberg; ISBN 3-540-61605-5


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