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Was Bedeutet Realität

Einleitung

Sprache wurde lange Zeit als eine Art Spiegel der Welt betrachtet: Sie stellt die Welt dar, repraesentiert sie. Wohl kaum eine Idee wurde im 20.Jahrhundert aber ausfuehrlicher diskutiert als diese - was in der Regel mit ihrer Zurueckweisung endete: Ob Jacques Derrida, Richard Rorty, Julia Kristeva oder der spaete Ludwig Wittgenstein, ob in der angelsaechsischen sprachanalytischen Philosophie oder im europaeischen, kontinentalen Denken - all diesen DenkerInnen und Traditionen ist gemeinsam, dass sie Sprache als ein mediales System betrachten, dass nichts mit einer 1:1-Repraesentation der Welt zu tun hat.

Was produziert dann aber Wissenschaft? Was ist eine Theorie Wert? Kann die Welt ueberhaupt erkannt werden? Was heisst "Realitaet" dann noch?

In der ersten Phase der Postmoderne, die in den Achtzigerjahren begann und sich gerne auf Wittgenstein, Lyotard, Derrida, Feyerabend oder Rorty berief, begann man diese Fragen ein wenig aus den Augen zu verlieren: An ihre Stelle traten Diskussionen um Identitaet und Differenz (Ist ein fixes Selbst nicht bloss eine symbolische Konstruktion? Schwingt diese Idee eines fixen Selbst aber nicht in allen moeglichen Vorstellungen der Politik mit und weiter, etwa im Konzept des homogenen Staates und der homogenen Gesellschaft? Usw.); der Pluralismus von Positionen wurde gross geschrieben und speziell in den Medien zelebriert (jeder hat eine Position zu jeder Sache, die man am besten oeffentlich-medial diskutiert).

Mittlerweile sind diese Fragen aber wieder von Bedeutung, hat sich die Situation doch entscheidend veraendert: Nicht nur hat sich die postmoderne Beliebigkeit ueberlebt; sie ist einfach nicht mehr machbar, da es dafuer auch an Geld fehlt. Nur mehr ganz bestimmte Positionen werden heute beispielsweise mit oeffentlichen Mitteln bedacht, was aber auch die Frage aufwirft, welche das sein sollen. Das fuehrt aber nicht nur zu politisch-ideologischen Fragen, sondern auch zur Frage nach Masstaeben, was frueher oder spaeter wiederum zur Frage nach der Wahrheit und der Erkennbarkeit der Realitaet fuehrt.

Die neue, aktuelle Phase der Postmoderne wird sich daher, wie ich meine, der Realitaets-Frage stellen muessen - ohne in Abbildphantasien zurueckfallen zu duerfen.

Wie das gehen sollte, koennte und sollte hier ein Thema sein.

ChristianEigner

Ein Versuch einer Positionierung

Im Laufe der Evolution hat das Leben eine Reihe von Entwicklungen hervorgebracht, die es den Lebenwesen ermöglichen in ihrer Umwelt (der Realität) besser zu Recht zu kommen. Einfachere und komplexere Sinne liefern Informationen, unsere Augen sogar ziemlich eindrucksvolle Bilder dieser Realität. Die Entwicklung der Sprache ermöglicht uns schließlich sogar, die Realität zu beschreiben, zu kommunizieren, Theorien zu entwickeln und ein weitergehenden Verständnis aufzubauen. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass die Prozesse der Sinneswahrnehmung oder der sprachlichen Modellierung perfekt (1:1) wären. Vielleicht liegt die Wahrheit eher bei 1 : 0,20 . Alles, was hier die Natur entwickelt hat, besitzt hypothetischen Charakter und muss sich in der Anwendung bewähren.

Für den Naturwissenschaftler ist die Situation ziemlich einfach: Er sieht eine objektive, physikalische Realität, an die wir uns mit Messungen und Theorien schrittweise - vielleicht so wie Archilles und die Schildkröte - annähern. Je weiter wir uns von der Physik entfernen, umso schwieriger mag die Theorienbldung werden, aber das Verhältnis von Realität und unvollkommender Sicht dieser Realität ändert sich nicht grundsätzlich. Psychische Vorgänge im Kopf eines Menschen oder Gott mögen sich einer objektiven Ergründung auch auf Dauer entziehen - Naturwissenschaft sollte nie Ausgrenzung im Sinne eines "was ich nicht sehe existiert nicht" betreiben - aber die Hypothese, dass das was existiert auch in einer eindeutigen Form existiert, bleibt bestehen.

Eigentlich sollte jedem Physiker vieles klar sein. Was ich aber vermisse: wir nutzen unsere elementarsten Kenntnisse nicht! (Er)kenntnis ist aber gar nicht an die physikalischen Experimente gebunden. Beispiel: Der Weg ist das Ziel (wer hat das vor Laotse gesagt?). Bedeutet: Wenn ein Geschehen völlig bekannt ist, ist Ende. Quantenmechanisch: Wenn ich etwas nachgewiesen habe, ist es weg! Doch wo ist es hin? Welcher Physiker denkt hier zu Ende? Das Messen eines quantenmechanischen Ereignisses ist also ein Schritt auf dem Weg des Physikers und völlig Teil seines Erkenntnisgewinns. Welchen Nutzen zieht man aber aus Erkenntnis? Beispiel: Erkenntnis: Die Entropie nimmt zu. Nutzen: Jede Bemühung, ein Perpetuum mobile zu bauen, kann eingestellt werden. Realität: Nicht jeder kann die Erkenntnis annehmen, und wenn derjenige Chef ist, kann er doch beliebig viele Ressourcen vergeuden.
Nun ist Entropie ein schwieriges Wort, Zitat Halasz: "Wenn Sie etwas nicht verstanden haben, erfinden Sie ein neues Wort, gebrauchen Sie es fortwährend, und innerhalb kürzester Zeit sind Sie bewunderter Spezialist". Also etwas ganz Einfaches: '''Wirkung''': Physikalisch: Energie mal Zeit. Wenn die Zeit zunimmt, die Energie erhalten bleibt: nimmt dann im Universum die Wirkung zu? ''Was meinen die Physiker?''

--RainerNase

Eigentlich sollte jedem Physiker klar sein, daß er a) nur überhaupt einen Teil der Welt messen und theoretisieren kann und b) er durch Messung und Theorie die Welt verändert. [c] Messung und Theorie beschreiben nicht nur sondern schaffen die Welt, die sie beschreiben sollen. -- ThomasKalka

(a) scheint mir klar, nur dass viele Naturwissenschaftler trotzdem einen solchen naiv-materialistischen Standpunkt einnehmen.
(b) sollte der Naturwissenschaftler vermeiden. Entweder muss der Einfluß der Messung gering gehalten werden, oder die Störung rechnerisch herausgerechnet werden können. Andernfalls ist die Messung wertlos.
(c) kann ich nicht nachvollziehen. IMHO sollte man davon ausgehen, dass der Kosmos auch denn existiert, wenn es keine Beobachter gibt, die durch Teleskope nach ihm schauen.

Für den Geisteswissenschaftler ist die Situation schwieriger, weil ein natürlicher Zugang zu einer objektiv messbaren Realität fehlt. Die subjektiven, scheinbar nicht entscheidbaren Sichtweisen auf die Realität führen schnell zu Einstellungen, die darauf hinauslaufen eine einzige, allen gemeinsame Realität in Frage zu stellen. Entsteht Realität nicht erst im Kopf des Betrachters? Gibt es nicht so viele Realitäten wie es Köpfe gibt? Platon ging seinerzeit so weit, den Ideen eine höhere Form von Existenz zuzuschreiben als den realen Dingen. Ein realer Kreis wäre nur ein unvollkommener Abklatsch der wirklich existierenden Idee des Kreises. In dieser Tradition würde alleine die Existenz des Begriffes Gott schon Nachweis dafür sein, dass Gott auch existiert.

Ich möchte dafür plädieren, Sprache und Begriffe einfach als Werkzeuge zu betrachten, mit denen wir versuchen können, über die Realität (aber auch über unsere Vorstellungen und Fantasien, die auch in einem anderen Sinn Teil der Realität sind) zu sprechen oder die Realität zu modellieren und zu verstehen. Ein Modell und auch die Sprache bleiben immer Abstraktionen und vermögen das modellierte Ding nicht - oder nur in speziellen Situationen - zu ersetzen. So ist die Sprache auch vorwiegend dann nützlich, wenn entweder die Situation einfach ist (im Alltagsleben oder der Physik) oder wenn die Realität hinter der sprachlichen Beschreibung ausreichend mitgedacht wird.

-- HelmutLeitner

Diskussion

Christian, ich habe mit der negativen Verwendung der Begriffe "Bild" und "repräsentieren" meine Schwierigkeiten, weil ich mir weder im Urlaubsphoto meine Familie noch durch unsere Parlament die Gesamtheit der repräsentierten Wähler 1:1 ersetzt denke. Die Begriffe "Bild", "Repräsentation", "Modell", etc. haben IMHO unausweichlich diesen Charakter des unvollständigen, partiellen und abstrahierten und sind damit neutral. Es liegt an den Benutzern, was sie aus diesen Werkzeugen machen und ob sie diese z. B. fehlerhafterweise überbewerten. Sehr oft wird z.B. im Softwarebereich davon gesprochen, dass in einer Datenbank eine Person durch Daten (Name, Adresse, Telefonnummer, Sozialvers.-Nr. etc.) repräsentiert wird. Kein Entwickler würde damit eine philosophisch bedenkliche Überwertung verbinden oder meinen, er hätte damit die ganze Realität der Menschen eingefangen. -- Helmut


Ich weis nicht, was mit Realität gemeint sein soll. Woher stammt das Wort ? Soll das Reale sich Abgrenzen vom Gedachten und Gefühlten ? Soll es etwas sein, was unabhängig von uns ist ? Gibt es etwas, was unabhängig von mir ist ? Wenn ich nicht mehr bin, dann ist (für mich) nichts mehr. Aber vieles, das für andere war, ist für mich noch. War es also unabhängig von ihnen, oder bin ich teilweise der andere ? -- ThomasKalka

Ich verwendet das Wort "Realität" nahe an seiner Alltagsbedeutung. Es kommt wohl aus dem Lateinischen und meint soviel wie "Wirklichkeit" oder "das, was wirkt" oder "das, was tatsächlich existiert". Man könnte es auch auf einen einfachen Nenner bringen: "das, was ohne Beobachter existiert" oder "das, was ein idealer Beobachter beobachten könnte". Aber konkret:

  • Soll das Reale sich Abgrenzen vom Gedachten und Gefühlten? Nein, das Gedachte und Gefühlte ist auch real, wenn auch nicht so gut messbar oder objektivierbar wie ein Stein oder ein Baum.
  • Soll es etwas sein, was unabhängig von uns ist? Ja, der größere Teil der Realität, die uns enthält, ist weitgehend unabhängig von uns. Aber wir sind auch Teil der Realität.
  • Gibt es etwas, was unabhängig von mir ist? Ja, der größte Teil der Welt ist weitgehend unabhängig von dir als Einzelmenschen.
  • Wenn ich nicht mehr bin, dann ist für mich nichts mehr... Dann ist dein beobachtendes Bewußtsein erloschen (oder uns nicht mehr für die Kommunikation zugänglich), aber die Realität existiert unabhängig davon weiter, so wie sie für uns auch weiter existiert, wenn andere sterben.
  • War es also unabhängig von Ihnen. Ja, das ist die einfachste Erklärung.
  • Oder bin ich teilweise der andere. Diese komplizierte Variante wird vermutlich dann notwendig, wenn man annimmt - wie du oben andeutest - dass Beobachtung die Welt erschafft.

Ich will versuchen, die Richtung, die ich oben andeuten wollte, ein wenig mit Zitaten zu beleuchten.

Zuerst jedoch noch: IMHO ist es zweckmäßig zu unterscheiden in a) "Die Welt", und b) "Das, was wir Denken die Welt sei" zu unterscheiden. Ich fände es zweckmäßig, uns zu verständigen hier über b) zu sprechen, wenn wir über Sprache nachdenken.

aus "{Die chinesische Medizin}?", {Manfred Porkert}?, im Kapitel "Das Hindernis der Sprache":

Die (...) erscheinende Situation wurde bereits in den dreißiger Jahren von dem amerikanischen Linguisten {Benjamin Lee Whorf}? vorausgesagt. Whorf hatte festgestellt, daß sich Fachsprachen zunehmend als Hindernis des wissenschaftlichen Fortschritts erweisen, und eine Überprüfung der sprachlichen Hintergründe des Denkens gefordert. »Wie wir die Natur aufgliedern, sie in Begriffe organisieren und ihnen Bedeutungen zuschreiben«, so Whorf, »das ist weitgehend davon bestimmt, daß wir an einem Abkommen beteiligt sind, sie in dieser Weise zu organisieren - einem Abkommen, das für unsere ganze Sprachgemeinschaft gilt und in den Strukturen unserer Sprache kodifiziert ist. Dieses Übereinkommen ist natürlich nur ein implizites und unausgesprochenes, aber sein Inhalt ist absolut obligatorisch; wir können überhaupt nicht sprechen, ohne uns der Ordnung und Klassifikation des Gegebenen zu unterwerfen, die dieses Übereinkommen vorschreibt.«"

Nach eingehendem Studium von Indianersprachen erlebte Whorf eine neue, für Mitglieder der indogermanischen Sprachfamilie völlig fremdartige Welt. Er kam zu dem Ergebnis, daß in der Sprache weitgehend vorbestimmt sei, wie der einzelne »Phänomene und Zusammenhänge bemerkt oder übersieht, sein Nachdenken kanalisiert und das Gehäuse seines Bewußtseins baut«. Danach bildet die Sprache für eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern ein bestimmtes Reservoir für Problemlösungen, und wenn das ausgeschöpft ist, ist wissenschaftlicher Fortschritt nicht mehr möglich.

Zu Wahrnehmung der Welt in der Wissenschaft: CoForum:Wissenschaft_als_Ausdruck_unserer_Entfremdung_von_uns_selbst

-- Thomas

Diese Beobachtungen sind sicher richtig, aber die Entfremdung, von der gesprochen wird, muss wohl als Ergebnis einer fehlgeleiteten Wissenschaftlichkeit gesehen werden. In Englischen Sprachraum werden diese Thesen übrigens noch breiter diskutiert (z. B. WardsWiki:SapirWhorfHypothesis) als bei uns. Kreative Wissenschaft (und Philosphie) verlässt meist den Rahmen der vorhandenen Sprache, weil sie erkennt, dass die Sprache nicht in der Lage ist, die Realität angemessen zu skizzieren. Es werden dann eben neue Begriffe entwickelt oder man versucht alte Begriffe neu zu positionieren und zu etablieren. Sprache (und unsere Wahrnehmung der Realität) pendelt in ihrer Beziehung zur Realität auf einer Skala, die man mit Begriffen wie "Zerrbild - Schmierbild - Skizze - Repräsentation - Bild - Blaupause - Kopie - Identität" beschreiben könnte. Probleme entstehen nur, wenn Sprache oder Wissenschaft als Wahrheit statt als Hypothese verkauft werden sollen. Dann muss Sprache exakt definiert werden (was kontraproduktiv und eigentlich unmöglich ist) und Wissenschaft sich auf das Objektivierbare zurückziehen (was einer Selbstamputation gleichkommt). -- Helmut

Das ist auch ein bißchen ein Streit um die sogenannte "phänomenologische Basis" der Wissenschaft. Dazu haben wir auch hier http://www.wikiservice.at/buecher/wiki.cgi?Diskussion__Online__Communities schon ein bißchen was angedacht... ChristianEigner


Wo beginnen...?

Nun, vielleicht mit Deiner Frage nach dem Bild, Helmut:

Was heisst "Repraesentation"? Das Thema ist deshalb relevant, weil die uralte Vorstellung, dass Sprache ein Nahverhaeltnis zur Wirklichkeit hat, noch immer nachwirkt. Schon Popper hat sich sehr vehement gegen den Essentialismus gewehrt, das heisst gegen die Vorstellung, dass Worte etwas ganz bestimmtes bedeuten. Was liegt diesem Essentialismus aber zu Grunde? Was steckt hinter der Vorstellung, dass etwa "Haus" nur fuer eine ganz bestimmte Struktur verwendet werden kann und darf und deshalb jeder, der das Wort "Haus" benutzt, sich auch auf diese Struktur bezieht? Eben die Idee, dass Worte nicht bloss Werkzeuge sind, wie Du sagst, sondern eine Art direkte Relation zu den Phaenomenen oder Gegenstaenden haben. Sie sind Taefelchen, die diese Gegenstaende umgehaengt haben und die wir, wenn wir reden, sozusagen pfluecken.

Dass diese Theorie der Sprache noch immer ihre Wirkung hat, kannst Du an unserer Medienkultur sehen: Trotz all der Medienkritik der letzten 30 Jahre lebt diese noch immer von der Vorstellung, dass objektive Information produziert wird, dass hier Abbildungsprozesse stattfinden. Denn das Objektivitaetskriterium der Medien ist ja nicht im Sinne eines Karl Popper die rationale Diskutierbarkeit, sondern "das Darstellen, wie es ist": Hier wird nach wie vor an Abbildungsprozesse, an Taefelchen, die man abpflueckt, geglaubt, was sich am schoensten im "Focus"-Schlachtruf der fruehen Neunzigerjahre - "Fakten, Fakten, Fakten!" - zeigt. Wer nicht an diese klassische Repraesentationsbeziehung glaubt, kann erst gar nicht auf einen solchen Schlachtruf kommen, denn er wuesste, dass es - um wieder mit Popper zu sprechen - bestenfalls Pruefsaetze gibt, aber keine Fakten (ich hab mir extra einige Register von Popper-Buechern durchgeschaut - beim ihm kommt das Wort Faktum de facto ( :)) ) nicht vor; er wusste wohl zu genau, was fuer eine Theorie der Sprache und der Erkenntnis hinter diesem Wort steckt....).

Freilich ist das nicht der einzige Ort, an dem diese Theorie nachwirkt. Weshalb eine Kritik oder Dekonstruktion immer angebracht ist. Dieses Phaenomen, dieser Gegenstand (diese Theorie) ist also gemeint, wenn ich Begriffe wie "Bild" oder "Repraesentation" negativ benutze. Weshalb ich allerdings ganz generell mit der Verwendung des Begriffs "Repraesentation" vorsichtig geworden bin, weil diese Abbild-Phantasie bei jedem Gebrauch immer ein wenig mitschwingt (was uns flux in verkehrte Ableitungen und zu verkehrten Ideen fuehrt - ohne dass wir es auch nur gemerkt haetten....).

Was ist Sprache aber dann und wie steht sie zur Realitaet, oder besser: zur Welt (warum nicht bloss Realitaet? Weil hier auch immer ein bisschen die Bedeutung von Lebensrealitaet drinnensteckt - und flux sind wir bei einem Vermengen von Fragen der Objektivitaet und der Subjektivitaet....)? Derrida spricht eben von einem Metaphern-System, das nie Taefelchen-Charakter hat, Popper von Ideen, was letztlich auch nichts anderes heissen soll (Popper hat es ja irgendwie immer abgelehnt, darueber viele Worte zu verlieren; dass Sprache immer nur so etwas wie Erzaehlungen und keine 1:1-Abbildungen in obigem Sinne erzeugt, war ihm zu selbstverstaendlich, als dass er darueber lang und breit philosophieren wollte - womit er meines Erachtens uebersehen hat, dass wir es hier mit einem echten Problem zu tun haben; allein schon deshalb, weil die maechtige Medienwelt hiervon etwas andere Vorstellungen hat....). Sprache produziert Geschichten verschiedenster Art; wissenschaftliche ebenso wie literarische oder Witze. Immer wieder versuchen diese Geschichten etwas ueber die Welt zu sagen - und tun es auch. Zwar nicht als Repraesentationen, als Aussprechen/Ausdruecken/Transporter von Taefelchen, aber als Systeme, die mit der Welt korrelieren.

Die Korrelationsleistung als solche ist dabei eine psycho-physiologische Taetigkeit, eine Leistung des Alltagsverstandes, ueber die ich als Nicht-Biologe und Nicht-Psychologe so gut wie nichts sagen kann. Ausser, dass ich nicht an ihrem Funktionieren zweifle, da ich sonst nicht einmal zweifeln koennte: Jede kritische Frage nutzt bis zu einem gewissen Grad unseren Common-Sense-Bezug zur Welt; ohne diesen waere das simpelste "Warum?" nicht moeglich. Die Korrelationsleistung kann ich also nur aufklaeren, erklaeren, ansonsten aber nur hinnehmen und auf ihrer Basis Aufklaerungsarbeit/Erklaerungsarbeit beginnen...

Wenn es sich aber "bloss" um korrelierende (mediale) Systeme handelt, so ist es klar, dass diese immer - wie alle Mediensysteme - Eigendynamiken entwickeln werden. Alle unsere Theorien oder Vorstellungen oder Bilder (in einem Nicht-Repraesentations-Sinne gebraucht) werden deshalb unvollstaendig, fehlerhaft und von Genre-Momenten durchzogen sein; Aspekte inkludieren, fuer die es keine Korrelationen gibt usw. usw. Weshalb staendige Pruefung oder Dekonstruktion unumgaenglich ist - sofern man das Anliegen hat, etwas ueber die Welt zu sagen.

Was ist das dann aber, die Welt? Das (und da bin ich bei Dir, Helmut), was uns umgibt, das DA, das DA DRAUSSEN, das unabhaengig von uns existiert aber nie in seiner Unabhaenigkeit erfasst werden kann, sondern nur sprachlich-medial vermittelt. Das fuehrt auch dazu, dass - aufgrund der Unvollstaendigkeit und des Genre-Charakters, die sich aus der sprachlich-medialen Vermittlung ergibt - verschiedene Beschreibungen der Welt moeglich werden, die allesamt richtig sind. Ich kann meinen Garten nuechtern physikalisch beschreiben, oder hochpoetisch, was neben dem Aufzaehlen von Gefuehlen vielleicht auch Erinnerungen und Geschichten anderer Orte, die mit diesen Erinnerungen verbunden sind, inkludieren wird. Diese Geschichten werden sich dann auch wechselseitig inkludieren - es sei denn, eine der beiden ErzaehlerInnen? hat gelogen (das ist die Idealsituation; tatsaechlich werden aber beide Fehler machen (und tatsaechlich ist es moeglich, dass eine der Geschichten voellig falsch ist; doch darum geht es hier nicht), andere Schwerpunkte setzen und so andere Auslassungen produzieren, was das Uebersetzen erschwert. Doch sollte man sich nicht davon taeuschen lassen: Man ist sich letztlich immer naeher als man glaubt....). Die Welt, das ist das DA, das uns begegnet, sich uns als Geschenk gibt, aber sich nicht einfach erfassen laesst....

Womit wir bei einem anderen Problem angekommen sind (an dem sich die Realitaetsdiskussion ja meist erst entzuendet), bei der Pluralitaet der Bilder. Doch dazu, zu meiner Sicht dieser Dinge, spaeter mehr...

ChristianEigner


Ich mach gleich hier weiter, beziehe mich aber auf die Ueberlegungen zur sprachlich bedingten kulturellen Differenz, die weiter oben von Euch geaeussert wurden:

Es ist richtig - wie koennen voellig unterschiedliche Bilder einer Situation gewinnen. Oder Hypothesen. Und weil wir diese in unserer Lebensweise wirken lassen, werden auch ganz unterschiedliche Lebensweisen moegelich werden. Je nach Auslassungspunkten oder umgekehrt Prioritaeten kann ich beispielsweise ein eher geisteswissenschaftliches Denken bevorzugen oder naturwissenschaftlichen Denkgewohnheiten folgen - zumindest den Alltag werde ich mit beiden Denkgewohnheiten ganz wunderbar meistern koennen, obwohl die Weltsichten, wie man so schoen sagt, voellig unterschiedlich sind. Wenn wir uns dessen bewusst sind, dass wechselseitig unsere Bilder nie vollstaendig sind, ist es auch nicht sonderlich verwunderlich, dass diese Differenz der Fall sein kann. Helmut, Du hast es sehr schoen auf den Punkt gebracht: Die Falle ist der Wahrheitsbegriff. Nur wenn wir meinen, dass unsere Sicht die absolut richtige ist, wird es sonderbar, dass auch der oder die Andere ueberlebt (und fuehrt vielleicht zum Konzept eines Relativismus). Nicht so, wenn wir uns der Vorlaeufigkeit und Unvollstaendigkeit der eigenen Position bewusst sind.

Darueberhinaus koennen wir uns ja auch immer wieder mit der Anderen verstaendigen. Wir koennen sehr wohl feststellen: Ich denke so und sehe das so, waehrend Du das anders siehst. Diese Moeglichkeit - und das wird oft uebersehen - ist aber eher ein Argument fuer den Realismus als fuer den Relativismus. Denn es bedeutet Uebersetzbarkeit und Integrierbarkeit (wenn auch nicht Uebereinstimmung!) und mithin Teilen einer gemeinsamen Welt, auf die man sich verschieden bezieht (der Bezugspunkt ist also offensichtlich der Gleiche...).

Und trotzdem bin ich dafuer, diese Differenzen von Kulturen als echte Differenz wahrzunehmen. Wir leben oft in voellig verschiedenen Welten, das heisst, unsere Bilder bringen Lebensformen hervor, die sich stark voneinander unterscheiden. Und insofern leben wir tatsaechlich in ganz unterschiedlichen Realitaeten (was fuer mich nur ein Baum, ein Objekt ist, kann fuer Dich die Spitze einer Landschaft sein, ein Auswuchs, der von einem weiten Feld getragen wird, dass gleichzeitig in diesem Baum seinen Gipfel und Nabel findet.... Eine andere Welt, keine Frage, die auch weitere andere Lebenssichten und Lebensweisen nach sich ziehen wird...). Die Differenzen, die sich im Lauf der Zeit herausgebildet haben, sind dabei so fein (und gross), dass man sie gar nicht mehr sprachlich erfassen kann. Oft ist deshalb allein das Mit-Leben der einzig gangbare Weg, den oder die Andere (Person, Kultur, Subkultur, Institution usw.) zu verstehen, zu begreifen. Hier entstehen dann viele weitere, spannende Fragen....

Noch etwas zu Wissenschaft und Entfremdung: Ich glaube, man muss zweierlei unterscheiden: a.) Jede Aussage, die man ueber die Welt macht, schliesst bestimmte Phaenomene aus, priorisiert andere und objektiviert (in dem Sinne, dass nun ein Spachobjekt vorliegt, ueber das man nun reden kann). Entfremdung ist das bis zu einem gewissen Grad immer; egal, ob es sich um wissenschaftliche oder poetische Aussagen handelt. b.) Wo nur mehr in Objekten (und das ist NICHT identisch mit dem Objektivieren!) und Aufzaehlungen gedacht wird, ensteht tatsaechlich eine hoechst "entfremdete" Welt. Das ist die Welt des simplen Positivismus (und oft genug des Journalismus) sowie einer Warenwirtschaft, die nur danach trachtet, alles in maschinengleiche Ablaeufe zu bringen. DER Wissenschaft kann man das nicht vorwerfen; solche Denkweisen sind vielmehr ein allgemeines Problem, das wieder und wieder auftritt (am haeufigsten zur Zeit wohl in der Medienwelt; das ist wohl das groesste Problem, das die sogenannte Informationsgesellschaft hat....).

ChristianEigner

Ich glaube wir nähern uns einer fast völligen Übereinstimmung. Ich möchte die Situation mit den Kulturen und den Differenzen aus meiner Sicht formulieren und borge dazu einige Vorstellungen aus Diskussionen mit PeterNausner: Die individuellen Sichtweisen einzelner Menschen verdichten sich in der Gemeinschaft in einem Vorgang der ContextIntegration? zu einem kulturellen CommunityContext?, der auch die Fixierung von Wortbedeutungen und Wertungen einschließt. Dieser Context ist für eine effiziente Kommunikation und Kooperation sehr vorteilhaft. Leider ist dieser Context auch relativ starr, auf Grund seiner Breite nicht mehr ohne weiteres hinterfragbar, schlecht an der Realität prüfbar, schwer gegen andere Contexte abzuwiegen oder willentlich neuen Bedingungen anzupassen. Zu oft wird der Context zu einem Codex, zu komplex sind die Systeme, zu verwoben ist der Context mit dem Identitätsgefühl der Mitglieder, zu dominant wirken konservative Regelkreise. Stoßen verschiedene Contexte aufeinander: z. B. der Christliche auf den Naturwissenschaftlichen oder der Hinduistische auf den Moslemischen, dann ist der eigentlich naheliegende Vorgang einer neuerlichen ContextIntegration? sehr schwierig, oft fast unmöglich. Innerhalb eines Context neigt der Mensch natürlich noch eher zu dem Fehler, Sichtweisen (es sind ja gemeinsame Sichtweisen) mit der Realität zu verwechseln. Contexte sind aber natürlich auch reale Phänomene, die starke Wirkungen haben, Wahrnehmungen beeinflussen und sich wissenschaftlich untersuchen lassen ... aber trotzdem sind Contexte auch nichts anderes als Modelle und hypothetische Schmierbilder der Realität. -- HelmutLeitner


Interessant ist an dieser Stelle auch zu vermerken, dass dieses Problem der "Context-Identifizierung" (der Identifizierung mit dem Context, mit den Bildern) schon seit Jahrhunderten, ja, Jahrtausenden, diskutiert wird; weit ueber den europaeischen Kulturkreis hinaus. Ja, es ist ein gemeinsames Problem fast aller Kulturen (das heisst: Es wird in fast allen Kulturen immer wieder als ein Problem gesehen, als ein Abweg des Geistes, gegen den man eigentlich etwas tun sollte), auch wenn die Antworten darauf wiederum recht unterschiedlich aussehen.

Besonders deutlich wird das etwa im Buddhismus: Das Konzept der Leere ist ja kein idealistisches Programm(wie manche westliche PhilosophInnen? meinen, die glauben, der Buddhismus behaupte, die Welt sei eine Erfindung), sondern der Versuch, sich von dem Verlieben in Gedanken zu befreien. Von dem hysterischen Diskurs, der um die Welt und um bestimmte Phaenomene immer wieder gefuehrt wird. Die Leere zu erreichen bedeutet ja nichts anderes, als zu begreifen (oder besser: zu sehen, zu beobachten, zu erleben (etwa im Rahmen einer Meditation)), dass die Bilder eben nur Bilder sind - und die mit den Bildern verbundenen Emotionen und Stimmungen deshalb nur Projektion. Man kann meinen, ohne eine bestimmte Leidenschaft nicht leben zu koennen (ohne eine bestimmte Leidenschaft zu was auch immer); laesst man sich wirklich auf eine (meditative) Selbstanalyse ein, so hat man vielleicht das Glueck, einmal richtiggehend in und an sich zu sehen, wie diese Leidenschaft erst aus dem Bild, das man sich von dem begehrten Phaenomen gemacht hat, entsteht: Hat man auf das Bild "vergessen", ist auch die Leidenschaft weg; faellt es mir wieder ein, ist flux auch die Leidenschaft (und nur allzu oft der mit ihr verbundene Schmerz) wieder da (man sieht foermlich, wei das ganze Programm wieder startet, hochfaehrt - und muss dann in der Regel herzlich und erloest ueber sich selbst lachen....). Spaetestens dann begreift man, erlebt man (was noch viel effektiver ist), dass man in Projektionen gefangen ist; dass die Identifizierung mit einem Bild (Context, was auch immer) das Problem darstellt; die Fixierung, in der man sich verfangen hat.

[...An dieser Stelle scheint es mir auch lohnend, auf die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift GEO (August 2002) zu verweisen: Im Hauptartikel geht es um die sogenannte "Lebenslaufforschung", also um die Erforschung der Entwicklung, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens durchmacht. Dabei werden auch die neuesten Ergebnisse aus der Erforschung der Hormone dargestellt, wenn auch nur am Rande. Demnach wird es immer schwieriger zu unterscheiden, ob etwas ein Hormon ist oder ein Botenstoff. Das heißt aber nichts anderes, als dass es immer schwieriger wird, so etwas wie "natürliche Triebe" und dergleichen auszumachen: Unser Denken - und jeder kennt das aus der phänomenologischen Selbstbeobachtung ohnedies - ist nur allzu oft am Werken, wenn es um Stimmungen und Gefühle geht - auch dann, wenn wir meinen, dass uns die Natur packt (ausdrücklich wird betont, daß die Hormone nicht autonom sind, sondern Teil eines komplexen Gefüges, zu dem auch der Geist gehört). In gewisser Weise bestätigt das Buddhas Philosophie des Geistes (denn nichts anderes ist diese Religion!), wird die "emotionale Bedeutung", die wir Phänomenen aller Art zusprechen, entnaturalisiert und "entsubstanzialisiert"...]

Diese Identifizierung mit Bildern/Hypothesen/Kontexten ist das vielleicht subtilste Problem, das einem im Umkreis der Realitaets- und Erkenntnis-Diskussion begegnet. Denn im Bereich der wissenschaftlichen Theorie-Produktion laesst es sich relativ leicht loesen (man schafft es schon, eine Theorie zu verwerfen); wenn es um das gelebte Alltagsleben geht (dem auch immer irgendwelche Theorien zur Seite stehen und es durchziehen), wird es schon schwieriger.

ChristianEigner


ALSO:

Würde ich jetzt eine erste Zusammenfassung versuchen wollen, würde ich sagen, daß es offensichtlich drei Problemfelder zu unterscheiden gibt:

  • Das Erkennen der Welt/ die prinzipielle Erkennbarkeit der Welt,
  • Die unterschiedlichen Welt-Konzepte, die sich aus der Unschärfe der Hypothesen, mit denen wir die Welt zu beschreiben versuchen, ergibt, und
  • Die Fixierung auf unsere Hypothesen (mit all den Lebensproblemen, die sich dadurch ergeben).
Am nächsten und vertrautesten, so denke ich, ist den meisten Menschen dabei letzteres Problemfeld, die Fixierung auf Weltbilder. Schliesslich gibt es viele internalisierte Theorien und Hypothesen: Oft meinen wir, natuerlichen Gefuehlen zu begegnen, wo durch nur bestimmte, tief verankerte Denkmuster an der Arbeit sind, die wir durch die unbewußte Fixierung, die jede Internalisierung darstellt, aber gar nicht mehr als Denkmuster oder Theorien entlarven können, respektive nur nach sehr viel Arbeit.

Tatsächlich passiert diese Selbstaufklärung und Selbstanalyse meist nur zum Teil, weshalb eine der Fragen, die zu der ganzen Realitätsdiskussion gehört, auch die ist:

  1. Wie denken und agieren in einer Welt, in der die Fixierung auf und Internalisierung von Hypothesen eine Realität ist?
  2. Was bedeutet das für das ProjektDerAufklärung?? Ist diese nicht nur nicht bloß ein unabschließbares Projekt - ist sie nicht auch ein unmögliches?
Es gibt also genug zu tun.....

ChristianEigner


"...unabschließbar...unmöglich..." Vermutlich ist es unabschließbar, aber IMHO gleichzeitig auch unvermeidlich, geht es doch um nichts anderes, als mit der Realität durch möglichst gute Hypothesen besser zu Recht zu kommen. Ich würde aber gerne vom Allgemeinen wieder zurückkommen auf eine Diskussion ÜberCommunities bzw. an unsere Diskussion Online Communities anknüpfen. -- hl


Lieber Christian, liebe andere,

ich habe eure Diskussion um den Begriff der Realität ein bisschen verfolgt und versuche nun, ohne irgendjemanden zu zitieren ausser mich selbst, mein Nachdenken darüber ein bisschen darzustellen.

"Die Sprache erst schafft die Welt," lautet ein Satz in meinem neuen Roman. Ich meine ihn wörtlich. Der Satz stammt aus einem Tagebuchausschnitt der Hauptfigur, der im Gesamtzusammenhang folgendermassen laute:

"Die Sprache ist ein Kind der Liebe, vielleicht bin ich davor so erschrocken. Die Sprache verzeiht dir nichts und erlaubt dir alles. Mir wird immer klarer: die Sprache erst schafft die Welt, das Gegenüber der Dinge: den Kosmos als ganzen."

Selbst wenn man vom emotionalen Zusammenhang dieser Äusserung abstrahiert, bleibt genug harte, philosophische Erkenntnis übrig: die Wirklichkeit existiert nie ohne die Erkenntnis über sie und diese ist nie ohne die Sprache möglich. Dabei sind alle drei Momente, ohne ineinanderzufallen, denknotwendig, um von dort aus zum Begriff der Wahrheit zu gelangen.

Oder, anders formuliert: die Wirklichkeit muss sich grundsätzlich in Sprache, und sei sie noch so abstrakt, etwa jene der Mathematik, äussern, sonst ist ihre Erkenntnis nicht möglich. Sie setzt den Erkennenden, der über seine Erkenntnis spricht, voraus - dies erst garantiert ihre Allgemeinheit und Diskutierbarkeit.

Wenn ich behaupte, dass erst die Sprache die Welt schaffe, das Gegenüber der Dinge herstelle, kann das leicht mitssverstanden werden. Vielleicht wird meine Behauptung verständlicher, wenn ich den Begriff des Schaffens, der Entstehung aus Nichts, etwas näher erkläre. Es ist jener milliardenfache Akt des menschlichen Bewusstseins, der, nahezu unbemerkt von den meisten, den Fluss der Empfindungen und Wahrnehmungen zum Stillstand bringt und in ein Wort, in einen Satz bannt. Es ist jener Akt des Menschlichen, von Beginn des Menschen an, den Tiere nicht hervorbringen können, weil sie im Fluss der Evolution ebenso stehen wie in jenem des Empfindens und Wahrnehmens, aus dem sie nie heraustreten können. In diesem Sinn schafft erst die Sprache die Welt - ganz wortwörtlich.

Natürlich, wer wollte das bestreiten, gibt es sowohl eine Welt ohne Menschen, wie es auch eine ohne die Sprache gibt; kein Vulkan kommuniziert und keine Gelse spricht. Aber alle Sprachlosigkeiten setzen Sprache voraus. Es sind immer nur Menschen - nie Tiere oder Steine - die eine menschenlose Welt, auch eine Welt ohne Sprache denken können.

Soviel für den Moment, liebe Grüsse an dich, Christian, den ich kenne, und die anderen, die mir unbekannt sind, Uwe


Zusammenfassende Fragen aus meiner Sicht:

  1. Wahrheit kann nur gesetzt werden ?
  2. Sollen wir uns auf etwas gemeinsam zu setzendes einigen ?
  3. Wie können wir uns auf etwas gemeinsam zu setzendes einigen ?
Daraus ergibt sich:
  1. Wo will ich hin ?
  2. Wo willst Du hin ?
  3. Wie kann ich verstehen, wo Du hin willst ?
  4. Wie muß ich sprechen, damit Du verstehst, wo ich hin will ?
Noch ein Hinweis auf einen Text von Michael Schmidt-Salomon der hier in den Kontext gut paßt: http://home.t-online.de/home/M.S.Salomon/wahrheit.htm -- Thomas


Uwe, Thomas: ich denke, dass wir uns nun genau an dieser Kluft zwischen Realismus (Christian, Ich) und Idealismus (Uwe, Thomas) bzw. zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft befinden, die oben angesprochen wurde. Ich kann kaum mit Worten ausdrücken, wie seltsam mir Vorstellungen wie "Wirklichkeit entsteht in der Sprache (oder in unseren Köpfen)" oder "Wahrheit setzen (oder sich darauf einigen)" erscheinen. Ich möchte niemandes Weltanschauung angreifen, ist doch klar, dass diesen Vorstellungen tiefgreifende und jahrhundertelange philosophische Überlegungen zugrunde liegen. Diese nehmen allerdings als gegeben an, dass es keinen anderen Zugang zur Realität gibt, als jenen den unser Bewusstsein bzw. unser Wahrnehmungsapparat direkt bietet. Tatsächlich gibt es diesen Zugang jedoch auf Grund der naturwissenschaftlichen Methoden, zwar nicht absolut und nicht immer objektiv, jedoch hypothetisch modellierend, sich iterativ der Wirklichkeit annähernd und sich einer kritischen Überprüfung aussetzend. Die Hypothese, dass es eine einzige Realität gibt (von der jeder Mensch sein eigenes Zerrbild pflegen mag), ist eine der fruchtbarsten Hypothesen, die den Umgang mit vielen Problemstellungen sehr vereinfacht. Der trotzdem fortdauernde Idealismus lässt sich IMHO nur durch das Beharrungsvermögen weltanschaulicher Vostellungen und das starke Verlangen des Menschen erklären, in den "Besitz der Wahrheit" zu kommen und diesen Besitz möglichst auch noch nachzuweisen. Diese unerfüllbare Forderung zwingt das menschliche Denken jedoch in ein Labyrinth ohne Ausgang. -- HelmutLeitner


Auch mir fällt es schwer Worte für das zu finden, was ich denke (deshalb behelfe ich mir oft mit Zitaten). Eigenartigerweise würde ich mich als Realisten und Naturwissenschaftler bezeichnen :-) . Wie soll ich Dir nur näherbringen, was ich denke ? Ich will es mal so versuchen: Es mag eine Realität geben, etwas, das ist, laß es uns ruhig Welt nennen. Die Welt ist für uns weder erfahrbar noch denkbar. Es gibt nur eine Welt. Jede Erfahrung aber basiert auf der Wahrnehmung von Gliechem, schafft Kategorien, Strukturen und Systeme, Teilaspekte der Welt. Wenn es von etwas "zwei" gibt, dann ist dies immer nur eine Abstraktion, d.h. ein "Vernachlässigen von". Darum geht es mir, daß jedes "es ist so", jede Theorie, die Welt zerschneidet, immer unter "Vernachachlässigung von". Jede Erfahrung ist Rekonstruktion von Teilaspekten der Welt im Organismus zu dem Zweck das eigene Verhalten im jetzt unter dem Aspekt der Zukunft zu optimieren. Die Reaktion auf das jetzt, mögen wir sie beim Menschen als Handlung bezeichnen, ist äquivalent zu seiner Welt-Konstruktion, seiner Erfahrung. Wenn ich mir ansehe, was unsere westliche Kultur mit der Welt anstellt, so werde ich in dem Glauben gestärkt, daß eine unserer Grunderfahrungen die Erfahrung von Herrschaft ist. Schau Dir das an, was wir bauen, wie wir mit Menschen und der restlichen Natur umgehen. Das naturwissenschaftliche Experiment präpariert einen Bereich der Welt so, daß dieser sich reproduzierbar zu einem überprüfbaren Ergebnis hin entwickelt. Bar einer Empfindung für das "Vernachlässigen von" wird die Natur zu einem naturwissenschaftliches Laboratorium seziert. Ganz anders ist das Handeln von Menschen, deren Grunderfahrung eine der Kooperation ist. -- Thomas

Du sagst da nichts, was ich nicht jederzeit unterschreiben würde. Jedoch liegt die Schuld nicht beim Werkzeug, wenn dieses missbraucht wird. Und Kooperation und Realismus sollten sich doch hoffentlich nicht ausschließen. Die Schwächen der ei


Es ist ja auch schwer, die richtigen Worte zu finden, da die Sprache sehr lebendig ist und sich ständig verändert. Als man noch keine Vorstellung von harten physikalischen Experimenten hatte, hat man bereits die Grundlagen gesetzt: Atome als das nicht Teilbare, Elektron als das Element, das Kraft entwickelt, Energie als Vitalkraft. Später hat die Wissenschaft diese Begriffe okkupiert und wir haben über die ursprüngliche Bedeutung vergessen. Wenn man sich zum Beispiel in Wikipedia "Energie" anschaut, hat man einen Begriff, was Realität ist! Keiner ist in der Lage, die grundlegendste Sache zu beschreiben: das ist Realität. Physik und Philosophie müssen wieder zusammengeführt werden, denn die Philosophie erst erlaubt die Nutzung der Physik und die Physik beobachtet die materielle Welt für die Philosophie. Mich hat beeindruckt Magrits (schreibweise?) Bild der Pfeife, die keine Pfeife ist oder Eschers unendliche Rekursionen usw, und das ganze wunderbar zusammengetragen in Gödel-Escher-Bach. Hofstaedter (Schreibweise) hat es aber nicht geschafft, in "Fargonauten", seinem eigenen Forschungsprogramm, die Erkenntnis weiterzubringen. Aber er hat deutlich gezeigt, dass andere, die strahlend im Licht stehen, auch nur des Kaiser Kleider neu verkaufen. Ich möchte folgendes zu bedenken geben: Die Physik behandelt zum Beispiel ein Elektron und eín Proton und kann bestimmen, wie das Wasserstoffatom daraus entsteht. Das geht aber nur unter der Annahme, dass sonst nichts existiert! Die Annahme ist aber sicher falsch. Das Elektron existiert nur deswegen, weil das gesamte Universum existiert. Wäre letzteres nicht da, gäbe es auch kein Elektron. Wir existieren auch, das bezeichnen wir als Realität. Und wir handeln so, dass wir in der Realität nicht zu schaden kommen. Und so lange wir schreiben und lesen können, haben wir offensichtlich ein zutreffendes Bild von der Realität.

In der Physik gibt es die sogenannten Observablen, also die Größen, die man messen kann. Und man hat herausgefunden, dass diese in unserer direkten Erfahrungswelt ausreichend genau messbar sind, nicht aber im mikroskopischen. Wir müssen uns aber einen Begriff machen von dem, was im Kleinen passiert, begreifen können wir aber nur etwas uns angemessenes. Daher stelle ich die Frage: wieviele Meter muss man nebeneinander legen, damit ein Quadratmeter herauskommt. Wenn man diese Frage beantwortet, so hat man auch den Schlüssel zu Unschärferelation. Und dazu muss man dann nicht mal Physik studiert haben, es genügt die ganz normale Vernunft, die ja gleichverteilt ist (RenéDescartes) --RainerNase


Diese Diskussion scheint mir in das Fahrwasser einer Endlosschleife zu geraten,ich bin ein Landkind und :ich hoffe es kommt jetzt nicht zu derb rüber: "Nach Erkenntnis dürstend trank ich Worte aus :Büchern...aber erst als ich sah: wie Fliegen meine Pisse tranken ~ erkannte ich." --ErnstGruber

Die Derbheit halten wir sicher aus, aber Endlosschleife trifft es nicht. "Nachdenkpause" oder "Todpunkt" vielleicht eher. Das Problem mit der von dir angesprochenen Form der "Erkenntnis" ist, dass sie sich weder in Worten adequat darstellen, noch in ihrer Qualität verifizieren lässt. Das erste mag zwar gewollt sein, das zweite lässt jedoch bisweilen den faden Beigeschmack der Anmaßung zurück. -- HelmutLeitner

Du schreibst selbst:"Lebt doch einfach",dies war eine praktische Erfahrung aus meinem Leben ~nicht mehr aber auch nicht weniger! Und in ihrer Qualität praktizieren läst sie sich mehrmals täglich. Doch,ob daraus die Erkenntnis folgt,daß alles miteinander verbunden ist,ist Individuell verschieden,die Natur lässt viele Erkenntnisse offen.--ErnstGruber


 
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